Matthias Böbel (65) hält die Hand über die Augen, um sich vor der blendenden Sonne zu schützen. Er muss weit schauen, wenn er die Rinderherde überblicken will. In kleinen Grüppchen bewegen sich Kühe und Kälber über das riesige Areal aus Grünland und Bäumen, das kein Ende zu nehmen scheint. Der Ackerbau, ein Meer von Ähren, durchwachsen von Fließgewässer und Randstreifen. Weite, Grenzenlosigkeit, Freiheit – diese Begriffe passen zum Eindruck, der sich hier auf dem Land der Erzeugergemeinschaft Agrarprodukte e.G. Wildenhain und seiner Tochtergesellschaft Wildenhainer Agrar GmbH einstellt.
Entstanden aus einer klassischen Agrargenossenschaft liegen in Mockrehna im nördlichen Teil Sachsens, südlich der Dübener Heide, etwa 40 Kilometer von Leipzig diese zwei Großbetriebe. 320 Hektar, 11.000 Hühner in dem einen, 501 Hektar, 110 Mutterkühe plus Nachzucht sowie 12.000 Hühner im anderen Betrieb. „Großbetriebe?“, fragt Betriebsleiter Matthias Böbel lachend, „wir sind doch klein!“ Und verweist auf die größeren Nachbarn mit noch mehr Fläche und Tieren.
Seit jeher wurden hier auf den kargen Böden Hühner gehalten und deren Eier vermarktet. Der Wunsch eines Großkunden nach Bio-Eiern führte dazu, dass man sich Gedanken über eine Teilumstellung machte und 2016 schließlich umsetzte. Matthias Böbel, der hier seit 22 Jahren die Geschäfte führt, war begeistert von den Konsequenzen dieses ersten Schrittes: „Die Tiergesundheit hat sich extrem verbessert, und auch das wirtschaftliche Ergebnis konnten wir optimieren“, erzählt er.
„Man muss die Ökolandwirtschaft wollen!“
So war schnell klar: Man müsse sich der Sache ganz stellen und umfänglich biologisch wirtschaften. 2018 ging man diesen konsequenten zweiten Schritt und wählte den Biokreis als Verband. „Wir haben uns langsam in die Ökolandwirtschaft hineingetastet. Heute bin ich der Meinung, dass EU-Bio überholt ist. Wir setzen auf Verbands-Bio und sind damit bei der Kundschaft erfolgreich.“
Vor allem in die Naturkostläden des nahen Leipzigs werden die Eier geliefert. Das ist das weiteste Ziel, welches für Matthias Böbel noch mit dem Grundsatz der Regionalität vereinbar ist. Und auch anderswo setzt er hohe Maßstäbe. Angestrebt wird ein geschlossener Stoffkreislauf. Die Rinder werden zu 100 Prozent mit eigenem Futter versorgt, bei den Hühnern gelingt die Eigenversorgung derzeit zu 70 Prozent. In Zukunft will man bei der Hühnerhaltung auf das Zweinutzungshuhn setzen. Ein Versuch mit der Hochschule Eberswalde hat 200 Sachsen-Hühner auf den Betrieb gebracht. Dieses Projekt will man ausbauen.
Bio und Größe? Geht das zusammen?
Matthias Böbel wird oft mit Vorurteilen konfrontiert und lädt skeptische Verbraucher*innen gerne auf den Betrieb ein. Hier können sie sich ein Bild davon machen, wie Ökolandbau auch in größeren Strukturen funktionieren kann. „Man muss die Ökolandwirtschaft wollen! Dann funktioniert sie auch hier“, ist er überzeugt. „Natürlich machen wir immer noch Fehler: Ökolandbau ist herausfordernder, anspruchsvoller. Learning-by-doing ist das Motto. Aber letztlich arbeiten wir wie ein kleiner Betrieb. Tiere, Pflanzen und Böden müssen aufeinander abgestimmt sein.“
Um dies zu schaffen, ist ein erheblicher Organisationsaufwand nötig. Hierin liege vielleicht der größte Unterschied zum Kleinbetrieb. Die Vermarktung der Eier und die Kundenbetreuung sind Chefsache ebenso wie das Erstellen von Anbauplänen. Sonnenblumen, Lein, Lupinen, Erbsen, Wintergerste, Winterroggen, Winterweizen, Triticale, Hafer, Feldgras, Mais, Luzerne, Rotklee, Leindotter … Diese Vielfalt muss arrangiert werden. „Manchmal wäre ich lieber im Stall und auf dem Feld wie damals als Student“, gibt Matthias Böbel schmunzelnd zu.
Stärken: Mengen, personelle Flexibilität, Auslastung der Geräte
Durch die Menge an Erträgen sei man etwa für die Mühlen sehr interessant. So sei es zum Beispiel möglich, an eine einzige Kundschaft die Ernte von 18 Hektar Buchweizen zu liefern. „Wir sind stolz darauf, stets die gleiche Anzahl von Erzeugnissen in der gleichen Qualität anbieten zu können – und das in Verbandware!“ Punkten könne ein so großer Betrieb auch mit der Personalstärke. 17 Mitarbeiter*innen arbeiten Vollzeit in den zwei Betrieben, 11 davon in der Landwirtschaft, der Rest in der Verwaltung. „Wir haben personell viel Power und sind flexibel.“ Ein weiterer Vorteil: Die Arbeitsgeräte können voll ausgelastet werden und Investitionen lohnen sich somit mehr.
Doch es gibt auch Schwachstellen. Angestellte Mitarbeiter*innen sehen die Dinge zuweilen anders als der Betriebsleiter. Außerdem müsse man geeignetes Personal erst einmal finden. „Das ist aber leichter geworden, seit wir Bio machen“, erzählt Matthias Böbel erleichtert, „viele Menschen stehen dem Ökolandbau positiver gegenüber.“ In Zukunft wolle man auch junge Leute über das Freiwillige Ökologische Jahr akquirieren. Den Betrieb wird bald Mandy Meißner übernehmen, die schon seit vielen Jahren an Böbels Seite arbeitet. Der ist sich sicher: „Wie gut Ökolandwirtschaft funktioniert, bestimmen die Betriebsleitung und die Menschen. Es gibt Gute und Schlechte – bei den Kleinen und bei den Großen.“
Von Ronja Zöls-Biber