Für Christian Scheuerlein war eigentlich immer klar, dass er den elterlichen Hof einmal übernehmen würde. Außer während der BSE-Krise – da war die Verunsicherung so riesengroß, dass er erst einmal seine Fachschule abbrach, auf die Berufsoberschule wechselte und das Abitur nachholte. Hier auf der BOS lernte er Judith kennen, eine Städterin, die sich immer schon für Landwirtschaft interessiert hatte. Sie war durch eine befreundete Familie, die eine Schweinezucht betrieb, immer mehr in die Landwirtschaft hineingewachsen. Ihre Oma war am Land aufgewachsen und hatte nahezu Selbstversorgung betrieben. Ein Bauer als Mann – für Judith das große Los. Aber Milchkühe? Da sprach selbst die Oma gleich eine Warnung aus. „Ich war jung genug, um naiv zu sein“, sagt Judith heute lachend. Und letztendlich: „Es war die große Liebe. Daher heirateten wir noch während des Studiums.“
Beide studierten Landwirtschaft in Triesdorf. Und ziemlich schnell war auch die Zeit reif, den Betrieb zu übernehmen. 2006 war Christians Vater gesundheitlich angeschlagen und froh, dass die Jungen die Verantwortung übernehmen würden. „Meine Eltern wollten immer das Beste für uns und den Hof und ließen uns schon früh mitentscheiden“, erzählt Christian. Im Zuge des Hausbaus wurden auch die Flächen übertragen. Und schnell kamen dann auch schon die Kinder.
Sich häuslich von den Schwiegereltern abzugrenzen, war wichtig für Judith, um ihre eigene Familie aufbauen zu können. Innerhalb ihrer eigenen Organisation ist die Familie so flexibel, sich immer wieder auf veränderte Bedingungen einstellen zu können. Der Tagesablauf wird so gestaltet, dass er zu den Bedürfnissen von Eltern und Kindern passt. Ohnehin sei es stets eine Herausforderung, die Arbeit nicht ins Private einfließen zu lassen. „Ich würde gerne mehr Zeit für die Kinder haben, aber diese muss ich bewusst eintakten“, sagt Christian. Die Arbeit sei immer da. „Unter der Woche fällt es uns schwer, etwas mit den Kindern zu unternehmen“, meint auch Judith, „aber diesen Winter haben wir es an zwei Nachmittagen unter der Woche geschafft, mit den Kindern Schlitten fahren zu gehen. Das war zuerst eine Überwindung für uns, aber dann war es total lustig und wichtig für unsere Familie.“ Sie habe es vor Kurzem einmal ausgerechnet: Rund 80 Stunden pro Woche arbeitet Christian. Es sei keine Seltenheit, dass er auch am Abend noch mal am Schreibtisch sitze.
Die Menschen: Judith (40) und Christian (41), Hanna-Lena (14), Jonathan (12) und Katharina (10)
Der Hof: 125 Hektar auf klein strukturierten Flächen (80 Feldstücke)
Die Tiere: 420 Legehennen in zwei Hühnermobilen, 90 Milch-Kühe, 50 Kälber und Färsen, vier Islandpferde
Die Vermarktung: Die Milch geht an die Molkerei Bechtel; außerdem Direktvermarktung über Milchautomaten und ein Verkaufshäuschen für Eier, Eierlikör, Nudeln, Wurst, Fleisch und Käse aus einer Lohnkäserei
Der Tag:
6 Uhr: Der Tag beginnt. Christian geht in den Stall, melkt gemeinsam mit seiner Mutter die Kühe, versorgt die Hühner und holt das erste Mal Eier. Judith macht die drei Kinder für die Schule fertig.
8.30 Uhr: Judith und Christian frühstücken gemeinsam. Das ist ihre tägliche Zeit zu zweit, in der sie in Ruhe den Tag besprechen.
9.30 Uhr: Christian erledigt die Büroarbeit. Er arbeitet zusätzlich noch 25 Stunden pro Woche als Vorstand einer Genossenschaft. Judith hat eine chronische Erkrankung und legt sich am Vormittag noch mal eine Weile hin. Außerdem erledigt sie den Haushalt.
13 Uhr: Judith kocht.
14 Uhr: Die Kinder kommen von der Schule und es wird gemeinsam Mittag gegessen.
15 Uhr: Judith füllt die Warenautomaten auf, bearbeitet Bestellungen, holt bei einem zweiten Gang die Eier aus den Mobilställen und übernimmt die Fahrdienste für die Kinder, zum Beispiel zum Geigen-, Klavier- oder Badminton-Unterricht.
17 Uhr: Stallzeit. Christian und seine Mutter melken wieder die Kühe. Muss eine Kuh besamt werden, ist das Judiths Aufgabe.
19 Uhr: Abendessen. Ziel wäre, gemeinsam zu essen. Meist isst Judith aber allein mit den Kindern, da die Stallzeit länger dauert.
Am Abend: Hauskreis, Spiele und einmal die Woche Fernsehabend.
22 Uhr: Der Tag endet.
Zwölf Tage im Jahr: weg und Energie tanken!
Zeit zu zweit? Die ist sehr knapp bemessen. Das erste Mal seit 13 Jahren haben die beiden ein Wochenende ohne Kinder zusammen verbracht. Das hat gut getan. Auch der jährliche Familienurlaub ist den Scheuerleins sehr wichtig. Zwingend notwendig dabei: wegfahren! „Wir könnten der Schwiegermutter unmöglich bei der Arbeit zusehen und uns dabei entspannen“, sagt Judith. Deshalb packt die Familie einmal im Jahr ihre sieben Sachen und verlässt für zwölf Tage am Stück den Hof – mal auf die Insel Föhr, mal in den Oman oder nach London. „Einmal haben wir auf unseren Urlaub verzichtet. Im Jahr drauf wurden wir krank. Wir konnten nicht durchatmen, keine Energie tanken“, erklärt Christian.
Und Zeit allein? Auch die gibt es. Christian spielt gern Klavier und Orgel. Etwa einmal pro Monat spielt er in der Kirche Klavier. Und abends nach dem Stall steigt er immer wieder in die Inline-Skates und dreht seine Runden. Judith liebt Musik, singt im Chor, und alle drei Monate schafft sie es, auf einem der Islandpferde zu reiten, um deren tägliche Versorgung und Bewegung sich die Kinder kümmern. „Ich habe mir lange Zeit zu wenig Auszeiten genommen und musste hier erst dazulernen“, sagt sie. Oft fährt sie auch einige Kilometer mit dem Fahrrad. Das tut ihr und ihrer Gesundheit gut.
„Viele Städter kriegen nichts von der Landwirtschaft mit“
Selbstversorgung und Direktvermarktung – das sind zwei Ziele, auf die Christian und Judith ihren Betrieb ausrichten wollen. Direktvermarktung mache einerseits Sinn, weil viele Verbraucher*innen ihre Arbeit schätzen und honorieren. Sie freuen sich an den Hühnern und Kühen auf der Weide und nutzen das Angebot, sich bei Hofführungen ein Bild von der Ökolandwirtschaft zu machen.
Andererseits spricht Judith auch von „grauenhaften Begegnungen“. „Manche haben zwei Pflanzen auf dem Balkon und meinen, sie können uns sagen, wie Landwirtschaft funktioniert“, sagt sie verärgert. Auch hätten immer mehr Menschen die Einstellung: keine Tierhaltung. Da könne man reden und erklären, so viel man wolle, für jene sei eben jede Tierhaltung schlecht. „Viele Städter, zum Beispiel im Umkreis meiner Eltern, kriegen nichts mit von der Landwirtschaft. Sie verstehen nicht, warum die Bäuerinnen und Bauern protestieren“, sagt Judith.
Auch die Scheuerleins sind schon auf die Straße gegangen. Sie demonstrierten gegen die Art und Weise, wie mit Landwirt*innen umgegangen wird. „Natürlich ist die Landwirtschaft auch Verursacher von Problemen, aber eben nicht nur“, betont Christian. So waren er und seine Frau beispielsweise gegen das Bienen-Volksbegehren. „Warum werden die Gründe für das Insektensterben ausschließlich in der Landwirtschaft gesucht? Warum brennen immer noch überall die Straßenbeleuchtungen?“, fragt Christian, und das hat er auch seinen Bürgermeister gefragt.
Manchmal mache Landwirtschaft keinen Spaß. „Unsere Kinder drängen wir nicht dazu, den Hof zu übernehmen. Woanders verdient man mehr Geld, hat Urlaubs- und Feiertage und wird nicht permanent von außen angegriffen. Aber wenn sie das mit Herzblut machen möchten, dann werden wir sie gerne dabei unterstützen“, sagt Christian. Sein Beruf sei schön. Das, was daraus gemacht wird, nicht. Doch Judith und Christian sind auch schnell wieder versöhnt mit ihrem Dasein. „Wir haben uns vorgenommen, nicht so sehr auf die Menschen zu hören, sondern als gläubige Christen eher auf das, was Gott uns als Aufgabe gegeben hat: die Tiere respektieren und die Schöpfung bewahren.“